Homöopathie beim Trockenstellen – ein integrativmedizinischer Ansatz

Die Rückbildungsvorgänge in der Milchdrüse der Milchkuh beim Trockenstellen sind komplex. Diese Vorgänge während der Trockenstehphase sind entscheidend für die Eutergesundheit und Leistung in der kommenden Laktation. Mittels Homöopathie kann versucht werden, die Milchmenge zu reduzieren, um die Stauungsphase zu verkürzen und die Gefahr von Neuinfektionen in dieser Zeit zu verringern.


„Wir haben eine Kuh zum Trockenstellen, die gibt noch über 25 Liter. Ich hab´s probiert, Kraftfutter weg, Trockensteller und Zitzenversiegler rauf - jetzt rinnt ihr ständig die Milch aus“. Eines von so manchen Problemen, bei denen ein integrativmedizinisch denkender Tierarzt hellhörig wird. 


Integrativmedizin – nicht mehr Alternativmedizin – nicht ein „Entweder-oder“ sondern ein „Sowohl-als auch“ von konventioneller Medizin und Komplementärmedizin. Es gibt eine breite Palette an komplementärmedizinischen Methoden mit denen man die Tiergesundheit unterstützen kann. Zu diesem Thema fand an der Veterinärmedizinischen Universität in Wien am 17.Mai 2019 eine Veranstaltung mit Vorträgen über Phytotherapie, Homöopathie, Chiropraktik, Akupunktur und Neuraltherapie statt. Eine fülle an Disziplinen, die aber im offiziellen Lehrplan leider nicht oder nur stiefmütterlich Berücksichtigung finden.

Globuli sind Arzneimittel

Globulifläschchen sind in vielen Rinderställen zu finden. Oft ist der Anwenderin, dem Anwender, gar nicht so sehr bewusst, dass es sich um Arzneimittel handelt, mit allen v.a. rechtlichen Konsequenzen. Hier ein kurzer Überblick: 

  • Der Tierhalter darf homöopathische Arzneimittel zur Gesunderhaltung seiner Tiere anwenden – z.B. einer Kuh nach einer normal verlaufenen Geburt Arnika-Globuli verabreichen, um ihr Schmerzen gegebenenfalls durch das „normale“ Geburtstrauma zu erleichtern. Der Tierhalter darf aber nicht ohne Einbindung eines Tierarztes kranke Tiere – z.B. eine akute Euterentzündung selbständig homöopathisch behandeln.

  • Es gibt für das Tier zugelassene homöopathische Arzneimittel als Injektion. Es sind dies einige wenige Präparate, die der Tierarzt dem Patienten verabreicht. Im Rahmen des TGD kann der Tierarzt den Tierhalter in die Behandlung kranker Tiere mit solchen Arzneimitteln einbinden.

  • Daneben gibt es eine Fülle an registrierten homöopathischen Arzneimitteln, die man als die bekannten Globuli in Glasfläschchen vom Tierarzt oder in der Apotheke erhält. Für sie gilt, dass man sie bei lebensmittelliefernden Tieren grundsätzlich erst ab einer Potenz von C2 bzw. D4 anwenden darf. (Ausnahmen sind in der EUVO 37/2010 Anhang 1, Tabelle 2 geregelt). Aristolochia und Colchicum dürfen bei lebensmittelliefernden Tieren gar nicht angewendet werden.

  • Da es sich bei Homöopathika um Arzneimittel handelt, müssen bei Anwendung am Tier, dieselben Aufzeichnungen geführt werden, wie bei jedem anderen Arzneimittel auch.

Dass homöopathische Selbsttherapien kranker Tiere durch Landwirte oftmals nicht zielführend und die Einhaltung der gesetzlich vorgeschriebenen Dokumentation sowie ein entsprechendes Monitoring für den Therapieerfolg entscheidend sind, wird in zwei Studien (Klocke et al 2010, Keller et al 2019) eindrucksvoll nachgewiesen.


In unserer Praxis versuchen wir gemeinsam mit dem Landwirt das passende homöopathische Arzneimittel zu finden, indem der Landwirrt seine Beobachtungen schildert und somit dem Tierarzt wichtige Hinweise für die Arzneimittelwahl liefert. Der Tierarzt bezieht den Tierhalter in die Arzneimittelanwendung am Tier ein und der Tierhalter behandelt und beobachtet den Patienten und seinen Heilungsverlauf. Somit sind beste Voraussetzungen für eine erfolgreiche Therapie gegeben.


Promptes Trockenstellen

Nun weg von Vorschriften, zurück in den Kuhstall. Kühe trocken zu stellen ist manchmal leichter gesagt als getan. Die früher oftmals angewandte Methode Melkzeiten auszulassen, ist obsolet ebenso wie die Trinkwasserreduktion (Tierschutz). Man hat erkannt, dass ein promptes Trockenstellen für die Eutergesundheit Vorteile bringt. Einerseits baut sich der Milchdruck im Euter nur einmal und nicht wiederholt auf, wodurch sich der Trockenstellprozess weniger lange hinzieht. Außerdem wird durch jeden Melkvorgang eine Oxytocinausschüttung provoziert, die die Milchproduktion erneut anregt. Anderseits wandern Abwehrzellen in die gestaute Milch ein, um alle Erreger, die über den Strichkanal einwandern, abzufangen. Diese konzentrierte Zellansammlung stellt eine immunologische Barriere dar. Durch wiederholtes Melken wird diese Zellabwehr geschwächt und die Ausbildung eines Keratinpfropfens, der den Strichkanal schützend verschließt, verzögert. Die Folge - Mastitiserreger können leichter ins Euter gelangen und in weiterer Folge Euterentzündungen verursachen.

Soweit zur Theorie, aber was hilft all das Wissen, wenn die trockengestellte Kuh über Tage oder gar Wochen die Milch laufen lässt (u.a. ein potentielles Hygieneproblem) und sich das gestaute Euter einfach nicht zurückbilden will? Einen Ansatz dieses Problem zu lindern, stellt die Homöopathie dar.

 

Homöopathie kann helfen

Es gibt eine Fülle an homöopathischen Arzneimitteln, die helfen können, den Milchfluss zu reduzieren – hier eine kleine Auswahl mit stichwortartiger Beschreibung:

  • Urtica urens: die kleine Brennnessel – starker Bezug zur Haut, den Harn- und Geschlechtsorganen. Im Kuhstall ein bewährtes Mittel bei berührungsempfindlichen Ödemen, Nesselausschlag, reguliert den Milchfluss, im jährlichen Rhythmus wiederkehrende Prozesse.

  • Phytolacca decandra: die Kermesbeere – starker Bezug zu Drüsen, Faser- und Knochengewebe Milchveränderungen dick, käsig, fadenziehend (Fetzen), gelbe Milch, blutig, Milchversiegen, eher rechtsseitig, schmerzhafte Milchdrüse.

  • Salvia officinalis: der Salbei – Bezug zu den Schweißdrüsen. Salbei hat schweißunterdrückende Wirkung. Die Milchdrüse ist eine modifizierte Schweißdrüse. Salbei kommt bei Abstilltees häufig zur Anwendung.

In unserer tierärztlichen Praxis verwenden wir oftmals Salvia in einer Potenz von C8. Dies wird mittels Sprühflasche (Globuli aufgelöst in Wasser) dem Rind zweimal täglich auf das Flotzmaul aufgesprüht. Das Tier schleckt sich das Flotzmaul sauber und dadurch wird eine orale Aufnahme des Arzneimittels und der Schleimhautkontakt gewährleistet. Die Verabreichung mittels Sprühflasche bei im Selbstfanggitter fixierten Rindern ist unkompliziert und effektiv. Nach mehrtägiger Behandlung geht die Milchmenge für gewöhnlich deutlich zurück.


Homöopathie in Biobetrieben

Übrigens bei Biobetrieben sind Tierärzte prinzipiell angehalten laut der sog. „EU-Bioverordnung“ EU VO 834/2007 bzw. 889/2008 bzw. auch in neuen Fassung 848/2018 (ab 01.01.2021 in Kraft) primär homöopathische bzw. phytotherapeutische Behandlungsmethoden einzusetzen. Erst wenn man mit diesen Methoden kein Auslangen findet, darf auf die konventionelle Medizin zurückgegriffen werden. Dies ist auch ein Grund, warum die ÖGVH (Österreichische Gesellschaft für Veterinärmedizinische Homöopathie) eine Ausbildung für Homöopathie für Tierärzte an der Veterinärmedizinischen Universität in Wien fordert.


Ein Exkurs für homöopathisch Fortgeschrittene: Grundsätzlich muss man sich bewusst machen, dass Laktation prinzipiell eine physiologische Absonderung ist. Physiologische Absonderungen zu unterdrücken kann u.U. Folgen für die Gesundheit haben. Mit dem Einsatz von Homöopathika zur Milchmengenreduzierung wird nichts anderes gemacht, als die Kuh einer Arzneimittelprüfung zu unterziehen. Die Milchmengenreduktion ist ein Symptom des Arzneimittelbildes. Der Einsatz von so in die Tiefe wirkenden Arzneien wie Phytolacca sollte wohlüberlegt sein.


Schalmtest, aseptische Milchprobenentnahme, mikrobiologische Milchuntersuchung, Antibiogramm, Zitzenversiegler, antibiotischen Trockensteller usw. sind verschiedene Möglichkeiten und Strategien eine Kuh eutergesund in die nächste Laktation zu bringen.


Die Homöopathie stellt eine zusätzliche Möglichkeit dar, die Rückbildungsvorgänge in der Milchdrüse zu fördern.

Mag. Michael Ridler
Praktischer Tierarzt in Höhnhart
Fachtierarzt für Homöopathie
Vorstandsmitglied der ÖGVH